Skeptizismus: „Was können wir wissen?“

Was können wir eigentlich wissen? Die philosophische Position des Skeptizismus sagt: Gar Nichts. Paradoxerweise wurde sie gerade dadurch zum Antrieb der Erkenntnistheorie in der Philosophie.

Der Skeptizismus beantwortet eine der grundlegenden Fragen des Lebens auf eine destruktive Art und Weise. „Was können wir eigentlich wissen?“ Der Skeptizismus meint: Nichts. Auf den ersten Blick: eine abstruse und lebensfremde Lehre.

Ist Skeptizismus lebensfremd?

Pyrrhon-von-Elis

Der Philosoph Pyrrhon in stürmischer See. Buchmalerei aus dem 16. Jahrhundert.

So sind auch über den Philosophen Pyrrhon von Elis (ca. 362 – ca. 270-275 v. Chr.), den Begründer der antiken Denkrichtung „Phyronischen Skepsis“ einige abstruse Anekdoten überliefert. Wenn Pyrrhon sich auf Reisen begab, dann wich er keinem entgegen kommenden Gefährt aus. Er hielt nicht an, wenn er auf einen Abgrund zu lief und weigerte sich zu fliehen, wenn er auf gefährliche Raubtiere traf. Seine Schüler mussten ihn ständig vor Gefahren retten. Und fragten sie ihn, warum er sich so verhielt, dann sagte er: „Ich weiß ja nicht mit Sicherheit, ob dort wirklich eine Gefahr vor mir liegt. Vielleicht träume ich nur oder meine Sinne spielen mir einen Streich.“ Einmal sei sein Lehrer Anaxarchos in einen Sumpf gefallen und drohte zu ertrinken. Als Pyrrhon nun vorbeikam und Anaxarchos ihn um Hilfe anflehte, zuckte dieser nur mit den Schultern und sagte: „Es scheint mir, als seist du in einen Sumpf gefallen. Und es scheint mir, als sei es gut und richtig, dir dort wieder heraus zu helfen. Doch vielleicht irre mich sowohl mit dem einen als auch mit dem anderen.“ Und so ging Pyrrhon weiter und überlieb Anaxarchos seinem Schicksal.

Was verstehen wir unter „Wissen?“

Mitunter kann Skeptizismus also geradezu zerstörerische Folgen auf die konkrete Lebenspraxis haben. Nichtsdestotrotz verdanken wir dem Skeptizismus viel: Denn durch ihn wurde das, was wir „Wissen“ nennen, in der Philosophiegeschichte immer wieder einer kritischen Prüfung unterzogen. Gemeinhin verstehen wir unter Wissen folgendes: 1. Wir fällen ein Urteil über die Welt. (zB. „Das Sofa ist braun“ oder „Angela Merkel ist Bundeskanzlerin“) 2. Dieses Urteil, das wir aussprechen oder in unserem Kopf denken entspricht tatsächlich dem, was in der Welt vorgeht. (Das Sofa ist braun und Angela Merkel ist tatsächlich Bundeskanzlerin) 3. Wir sind davon überzeugt, dass das Urteil, das wir gefällt haben korrekt ist. (Wir haben das Sofa etwa selbst gesehen, und tausendmal in verlässlichen Medien gelesen und gehört, dass Angela Merkel Bundeskanzlerin ist) Wenn an der Farbe des Sofas zweifeln würden, dann könnte man wohl kaum sagen, wir „wissen“, dass es braun ist. Sind diese drei relativ einfachen Punkte erfüllt, kann man sagen: Wir wissen. Der Haken: Punkt 2. Denn wie überprüft denn, ob das eigene Urteil mit der Wahrheit übereinstimmt? Wir alle haben schon mit vollster Überzeugung Dinge geglaubt, die sich im Nachhinein als falsch herausgestellt haben. [Dass alles, was wir sagen, immer falsch sein kann, hat einen strukturellen Grund. Ihn zu erklären ist etwas komplex. Für mehr Infos klickt auf den Button. Vorsicht: Gehirnverknotungsgefahr:] Button-Gehirn

Die 5 Tropen der Zurückhaltung

Der Philosoph Sextus Empiricus, der die Lehre der antiken Skeptiker am ausführlichsten aufgeschrieben hat, formulierte die Lehre der sogenannten „5 Tropen der Zurückhaltung“. Demnach bekommt jeder Mensch, der behauptet irgendetwas genau zu wissen, eines von 5 Problemen.

Portrait von Sextus Empiricus auf einem Buchcover

Der Philosoph Sextus Empiricus lebte ca. 200 bis 250 n. Chr in Alexandrien

1. Kann ein Mensch, der etwas wissen will, natürlich einfach behaupten, was er sagt sei richtig. Doch damit stellt er lediglich ein „Dogma“, einen unbewiesenen Satz auf. Jemand anderes könnte ohne jedes Problem einfach das genaue Gegenteil behaupten, und sagen, das sei richtig.

2. Kann jemand natürlich einen Satz belegen, indem er ihn durch einen anderen Satz begründet. (zB. „Die Arbeitslosigkeit wird nächstes Jahr sinken“, weil „die Wirtschaft weiter wachsen wird.“; Oder „Marianne wird bestimmt im Schuhgeschäft sein“, weil „Frauen gerne Schuhe kaufen.“) Doch damit verschiebt sich das Problem nur. Denn während der Gegenüber vorher bezweifeln konnte, dass die Arbeitslosigkeit sinkt oder Marianne im Schuhgeschäft ist, kann er nun einfach bezweifeln, dass die Wirtschaft wächst oder, dass Frauen gerne Schuhe kaufen. Wieder könnte er einfach das Gegenteil voraussetzen: „Die Wirtschaft wird nicht wachsen, sondern schrumpfen oder stagnieren“ und „bei Weitem nicht alle Frauen gehen gerne in Schuhgeschäfte.“ Nun muss unser Wissenssuchender abermals begründen, warum denn nun der neue Satz richtig ist. („Die Wirtschaft wird wachsen,“ weil „der Export wieder zunehmen wird“; „Frauen kaufen gerne Schuhe“ weil „weil es in unserer Kultur üblich ist als Frau schöne Schuhe zu tragen“ usw.) Das Problem ist: So viele Sätze der Wissenssuchende auch zur Begründung seiner vorherigen Sätze formuliert: Er kommt zu keinem Ende. Es ist wie, wenn man mit dem kleinen Kind streitet, dass immer wieder fragt „Warum?“.

3. Es kann sogar noch viel schlimmer kommen. Je mehr Sätze der Wahrheitssuchende anführt, um seine Position wieder und wieder zu belegen, desto eher kann es geschehen, dass er sich mit zwei seiner Sätzen selbst widerspricht. ( „Die Arbeitslosigkeit wird sinken, weil die Wirtschaft wächst.“ „Die Wirtschaft wird wachsen“, weil „es viel einfacher wird günstig zu produzieren.“ „Es wird viel einfacher günstig zu produzieren, weil Maschinen immer mehr Arbeit von Menschen übernehmen.“) Widersprechen sich aber zwei Sätze in einer Argumentation, so lehrt bereits Aristoteles im „Satz vom auszuschließenden Widerspruch“, so ist die gesamte Argumentation nichtig. Denn es können nicht beide Sätze gleichzeitig richtig sein: Mindestens einer der Sätze ist falsch.

4. Der Wissenssuchende kann natürlich versuchen, sich der ständigen Forderung nach neuer Begründung der Begründung, mit einem Trick zu entziehen: Er folgert einen ersten Satz aus dem zweiten und einen zweiten Satz aus dem ersten. („Twitter ist cool“, weil „da so viele Leute sind.“ „Bei Twitter sind so viele Leute,“ weil „Twitter cool ist.“) Diese Argumentationstechnik nennt man „Diallele“. Sie kommt einem unwillkürlich merkwürdig vor, und auch Sextus Empiricus hält es für unzulässig, so zu argumentieren. Und tatsächlich: Wie man zuvor zu jedem einfachen Satz sagen konnte: „Warum ist nicht das genaue Gegenteil richtig?“ so kann man auch jeder Diallele einfach eine „Gegen-Diallele“ entgegenstellen. „Twitter ist uncool“, weil „so viele Trolle ihre Kommentare dort äußern.“ „Viele Trolle sind bei Twitter“ weil „Twitter uncool ist.“

5. So führt alles zum fünften und letzten Tropos: Der Unentscheidbarkeit. Denn egal zu welchem Thema wir einen Satz äußern. Es ist immer möglich das genaue Gegenteil zu behaupten. Und Ob nun der Satz oder sein Gegenteil richtig ist, können wir strukturell nicht entscheiden.

Empirie als Ausweg aus dem Skeptizismus?

Aber Halt! Wird nun der findige Leser sagen. Ob ein Satz oder sein Gegenteil richtig ist, kann doch durch empirische Überprüfung erwiesen werden. Wenn ich sage „Es regnet.“ Kann doch jeder durch einen Blick aus dem Fenster feststellen, ob dort Regentropen fallen oder nicht. Wenn ich sage „Die Arbeitslosigkeit wird sinken“ dann können wir am Ende des ersten Quartals in der Statistik der Bundesregierung nachlesen, ob sie „tatsächlich“ gesunken ist. Das stimmt natürlich. Jedoch handelt es sich dabei strukturell betrachtet wieder nur um den Fall des 2. Tropos. „Es regnet“ weil „ich sehe, dass es regnet.“) Ein Gegenüber könnte das bezweifeln und etwa sagen: „Warum soll es wahr sein, dass du siehst, dass es regnet? Vielleicht willst du mich nur hereinlegen.“ [Zu weiteren Problemen des Empirismus klickt auf den Button. Vorsicht Gehirnverknotungsgefahr] Button-Gehirn

Gibt es Unbezweifelbares?

Schön und gut. Aber gibt es nicht Dinge, die kein vernünftiger Mensch bezweifeln würde? Materie existiert. Die Naturgesetze sind gültig. Menschen können sterben. Mord ist moralisch verwerflich. 1+1= 2 und die Bundesrepublik Deutschland ist ein souveräner Staat. Niemand, der Ansatzweise bei klarem Verstand ist, würde doch irgendetwas davon bestreiten. Im realen Leben läuft eben Niemand wie Pyrrhon in einen Abgrund oder lässt seinen Lehrer ertrinken. Darauf kommt es jedoch auch gar nicht an. Die Frage ist, ob wir all diese Dinge wirklich „wissen“ oder ob wir sie nur „für wahr halten.“ Denn wenn wir all diese Dinge auch aus sehr guten Gründen annehmen, so können wir streng genommen nicht behaupten, dass wir sie wirklich „wissen“. Immerhin ist jeder einzelne dieser Sätze potentiell bezweifelbar. (Materie existiert nicht. Die Naturgesetze sind nicht gültig. Menschen sind unsterblich. Mord ist richtig und gut. 1+1=3. Die Bundesrepublik ist völkerrechtlich illegal und in Wahrheit besteht das Dritte Reich fort.) Und nach den 5 Tropen ist es auch nicht möglich zweifelsfrei zu erweisen, warum die Selbstverständlichkeiten und nicht etwa ihre Gegenteile richtig seien.

Skeptizismus: Was folgt daraus?

Sehr gerne würde ich insbesondere den philosophisch noch unbefangenen Lesern nun eine abschließende Lösung präsentieren und erklären, dass ich den Skeptizismus ein für alle Mal widerlegen könnte. Das kann ich nicht, und das hat in der Philosophiegeschichte auch noch niemand tun können. (Die enorm einflussreiche Denkrichtung der Phänomenologie im 19. und 20. Jahrhundert war aus meiner Sicht lediglich enorm erfolgreich darin, das Problem der Erkenntnis und Wahrheitsfindung zu umgehen) Was folgt jedoch daraus, dass alles, was wir zu wissen glauben, potentiell falsch ist? Die Folgen für uns und unser Selbstverständnis werden Thema des nächsten Blogposts.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.