arbeitslos durch Digitalisierung? Gedanken zur Diskussion

Macht die Digitalisierung uns arbeitslos? Darüber habe ich beim diesjährigen Braincamp in Köln mit Webworkern, Entrepreneuren und Digital Natives diskutiert. Nachträglich meine Gedanken zu einer produktiven Diskussion.

Das diesjährige Braincamp in Köln war wie in jedem Jahr ein Ort für produktiven Austausch zwischen Webworkern, Entrepreneuren, Entwicklern, Social-Media-Managern und der restlichen Digitalen Bohème. Ich habe mich dieses mal an einen Vortrag zum Thema „Macht die Digitalisierung uns alle arbeitslos?“ getraut. Sowohl das große Interesse als auch das hohe Niveau auf dem wir diskutiert haben, waren für mich überraschend. Nachdem ich mir das Video mit einer Woche Abstand noch mal angeschaut habe, komme ich nun dazu einigen produktiven Input nochmal zu durchdenken.

I. Können Computer kreativ werden?

Einer der kontroversen Punkte in der Diskussion war, ob Computerprogramme Kunst schaffen und kreativ denken können. Die Frage ist bei weitem nicht so abwegig, wie man glauben mag: Schon heute schreiben Computerprogramme journalistische Reportagen, verfassen Gedichte und komponieren Musik. Ob Computer langfristig im menschlichen Sinne kreativ werden können ist eine spannende Frage. Die jüngsten Erfolge der Neurowissenschaft lassen es jedenfalls nicht abwegig erscheinen, ein komplettes menschliches Nervensystem zu emulieren. Alex hielt es in der Diskussion nicht für unwahrscheinlich, dass dies in diesem Jahrhundert noch gelingt. Ich für meinen Teil halte es auch für möglich, dass Computer auf längere Sicht eine eigene Art von Kreativität entwickeln werden, die wir uns bisher nicht einmal vorstellen können. Doch überdenken wir zunächst das, was heute bereits möglich.

Schaffen Computer Kunst?

Digital Kunst photo

Was macht ein Kunstwerk zu einem Kunstwerk?
Photo by ArtifyWorld

Die Mehrheit der Diskussionsteilnehmer glaubte nicht, dass Computer in der Lage sind Kunst zu schaffen. Die Gedichte, Kulturreportagen, Symphonien oder Gemälde, die schon von Robotern erstellt werden, seien demnach keine „wirklichen Kunstwerke“ sondern nur „Nachahmungen“ von anderen bereits bestehenden Kunstwerken. Einem Kunstwerk muss jedoch eine neuartige, kreative Idee zu Grunde liegen. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal etwas klarer herausstellen, weshalb ich nicht dieser Ansicht bin:

Ein Kunstwerk ist ein Kunstwerk. Es gewinnt seinen Wert durch den Zuschauer oder Betrachter, der sich mit dem Werk auseinandersetzt, davon berührt wird und es als Kunstwerk wahr nimmt. Etwas, was nur so wirkt oder aussieht wie ein Kunstwerk, kann es also nicht geben. Wenn die Zuschauer, die Leser, die Rezipienten von etwas berührt werden und es als Kunstwerk wahrnehmen, dann ist es ein Kunstwerk. Und genau das geschieht offenbar, wenn Menschen die Gedichte, Bilder oder Symphonien von Computern wahrnehmen, denn sie können menschliche und digital erstellte Werke nicht mehr voneinander unterscheiden.

Die Werke, die Computerprogramme schon heute schaffen, sind keine Kopien, sondern originäre Werke, die vorher in dieser Form niemals existiert haben. Natürlich hat das Programm „gelernt“ Kunstwerke zu schaffen, indem es die Struktur und den Stil anderer Kunstwerke nachahmt. Doch ein menschlicher Künstler arbeitet nicht anders. Ein Lyriker lernt Gedichte zu schreiben, indem er Gedichte liest. Ein Komponist lernt durch andere Komponisten, wie man eine Symphonie schreibt. Aus der eigenen kreativen Arbeit mit Kurzgeschichten kann ich feststellen: Die originäre, kreative Arbeit an einem Kunstwerk besteht meistens nur darin eine Geschichte neu zu erzählen, eine Idee in einen neuen Kontext zu setzen. Jeder Künstler steht mit seinem Schaffen in einer künstlerischen Tradition.

Müssen Computer Kunst schaffen?

Erklären Anhänger der menschlichen Einzigartigkeit einem, warum Computer niemals kreativ sein können, dann ist ihr Begriff von Kreativität häufig zirkulär.

„Warum kann ein Computer kein Kunstwerk schaffen?“

„Weil er keine Kreativität hat.“

„Und was ist Kreativität?“

„Kreativität ist das, was ein Computer nicht leisten kann.“

Gehen wir dennoch kurz davon aus, dass diese Kreativitätsdefinition richtig sei: Computer könnten dann niemals wirklich „kreativ“ denken. Würde das für unsere Ausgangsfrage „Macht die Digitalisierung uns arbeitslos?“ wirklich einen Unterschied machen? Denn Computer können „Nachahmungen“ von Kunstwerken produzieren, die ein Konsument nicht mehr von einem „echten Kunstwerk“ unterscheiden kann. Wozu aber braucht man dann noch „echte Kunstwerke“? Das Bedürfnis der Bevölkerung nach Kunst, kann doch gestillt werden, ohne dass ein einziges Kunstwerk geschaffen werden muss.

II. Digitalisierung vertieft die soziale Spaltung

Die Angst, dass Digitalisierung und Automatisierung die Spaltung der Gesellschaft vorantreiben, ist sehr verbreitet. Daher war es nicht verwunderlich, dass dies auch in unserer Diskussion vermutet wurde. Die Automatisierung, so die Vermutung, vernichtet bevorzugt „mittlere“ Arbeitsplätze wie Facharbeiter, Mechaniker oder Verwaltungspersonal. Übrig bleiben einerseits die sehr gut bezahlten kreativen, abstrakten Managerpositionen und andererseits einfache Handlangertätigkeiten.

Erklärter maßen befürchte ich, dass Digitalisierung und Automatisierung gravierende Folgen für unsere Gesellschaftsordnung haben werden, falls wir nicht schnell anfangen, uns mit ihren sozialen Folgen politisch und gesellschaftlich zu beschäftigen. Doch die Gefahr einer weiteren Spaltung der Gesellschaft sehe ich in dieser Form nicht. Ich glaube: Je einfacher eine Tätigkeit ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie durch Technologie ersetzt werden kann. Ich sehe nicht inwiefern, „mittlere Tätigkeiten“ eher gefährdet sind als „einfache Tätigkeiten.“

III. Der Wandel der Arbeitswelt

Wiederholt tauchte in der Diskussion die These auf: „Die Art und Weise wie wir arbeiten wird sich verändern, doch es wird nicht weniger Arbeit geben. Technologie wird vereinzelt solche Menschen arbeitslos werden, die unwillig oder unfähig sind sich lebenslang immer neue Kenntnisse zu erwerben. Doch im großen und ganzen wird es immer genug Arbeit für alle geben.“

Wie ich in meinem Vortrag (der mittlerweile auch als Blog-Artikel verschriftlicht ist) hoffentlich klar machen konnte, befürchte ich, dass das falsch ist. In den nächsten Jahren werden durch neue Technologie Millionen von Arbeitsplätzen unnötig. Es werden nicht im gleichen Ausmaß Arbeitsplätze entstehen. Außerdem können wir plakativ gesprochen nicht alle 56-jährigen Dachdecker zu Medieninformatikern umschulen.

VI. Pierre Bourdieu, Adelsmentalität und das Bedingungslose Grundeinkommen

Als ich das Youtube-Video nochmals angeschaut habe, ist mir aufgefallen, dass ich einen zentralen Punkt überhaupt nicht klar machen konnte. Hierzu muss ich etwas weiter ausholen:

Das Konzept des Bedingungslosen Grundeinkommens wäre in der Lage viele der Fragen zu beantworten, vor die wir durch Digitalisierung und Automatisierung gestellt werden: Es würde erstens jedem Menschen ermöglichen als Konsument am Markt teilzunehmen und so verhindern, dass die Wirtschaft aus Konsum-Mangel zusammenbricht. Es würde zweitens jedem Bürger Überleben und eine gewisse Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen. Und es würde drittens den Wohlstand, der durch die Digitalisierung erwirtschaftet wird, einer breiten Masse zukommen lassen.

Doch ein ganz zentrales Problem, kann das Bedingungslose Grundeinkommen nicht lösen: In Deutschland identifizieren wir uns in hohem Maße mit unserer Arbeit. Zu arbeiten gibt uns das Gefühl etwas zur Gesellschaft beizutragen. Fragt man Arbeitslose, was ihnen am meisten fehlt, dann nennen die meisten keine materiellen Güter, sondern „eine sinnstiftende Tätigkeit.“ Das kann ein Bedingungsloses Grundeinkommen nicht direkt leisten. Dazu müsste sich das gesellschaftliche Verständnis dessen ändern, was eine „sinnstiftende Tätigkeit“ ist. Und hier kommen der Hochadel und Pierre Bourdieu ins Spiel:

Es hat in Europa für sehr lange Zeit eine soziale Schicht existiert, für deren Selbstverständnis klassische Erwerbsarbeit eben keine Rolle gespielt hat. Im Gegenteil grenzte der Hochadel sich gerade vom niederen stand ab, indem er darauf bestand nicht arbeiten zu müssen. (Obgleich die Ausübung bestimmter Berufe wie Militäroffizier, Universitäts-Professor, Diplomat etc. durchaus auch in Adelskreisen mit sehr viel Sozialprestige verbunden war) Niemand möchte, dass eine solche Schicht wieder entsteht. Doch dass es eine solche Schicht gab, beweist, dass Erwerbsarbeit nicht konstitutiv für das Selbstverständnis aller Menschen sein muss.

pierre bourdieu photo

Pierre Bourdieu (1930-2002)
Photo by alicia gaudí

Der französische Soziologe Pierre Bourdieu entwickelte die Theorie, dass es mehr als nur „ökonomisches Kapital“ in Form von Geld, Einkommen und Besitz gebe. Vielmehr gibt es noch andere Formen des Reichtums: zum Beispiel Ruhm und Ansehen (soziales Kapital), Wissen (kulturelles Kapital) oder Wirkung auf potentielle Sexualpartner (erotisches Kapital). Viele dieser Kapitalarten sind ineinander konvertierbar (obgleich die Wechselkurse schwanken). Niemand kann jedoch eine Kapitalart ohne Zeit und Aufwand in eine andere Kapitalart umwandeln.

Betrachten wir das, bemerken wir, wie eine „sinnstiftende Tätigkeit“ aussehen könnte. Stellen wir uns vor: Unsere materiellen Bedürfnisse sind alle erfüllt. Eine vollständig oder weitgehend automatisierte Wirtschaft produziert alle Produkte und Dienstleistungen herstellt, und ein Bedingungsloses Grundeinkommen ermöglicht uns Zugriff auf einen Anteil davon. Würden wir alle untätig bleiben? Nein. Einige für uns würden ihren materiellen Besitz über das Grundeinkommen hinaus erweitern wollen, und würden Wege finden um zusätzliches Geld zu verdienen. Andere würden sich in Vereinen oder gemeinnützigen Institutionen engagieren, damit man ihnen gesellschaftliches Ansehen und Achtung entgegen bringt. Wieder andere würden sich aus Neugier wissenschaftlichen Studien widmen. Und wieder andere würden ihre Zeit in Sport investieren. Natürlich gäbe es auch jene, denen der eigene Antrieb fehlt, sich eine Beschäftigung und ein Ziel zu suchen. Doch diese Menschen wären immer noch in soziale Netzwerke, in Familien, Freundeskreise, Schulklassen eingebunden. Der soziale Druck tätig zu werden, und sich in der Gesellschaft zu engagieren, würde mit der Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens ja nicht verschwinden.

Fazit

Sowohl im Vortrag als auch in diesem Blog-Artikel dürfte es klar geworden sein: Ich sehe klar, dass Digitalisierung und Automatisierung uns vor riesige gesellschaftliche Aufgaben stellen. Doch ich bin noch weit davon entfernt, komplette, fertige Lösungskonzepte präsentieren zu können. Um im eigenen Denken voranzukommen, ist produktiver Input unerlässlich. Deswegen möchte ich mich an dieser Stelle nochmals bei allen Diskussionteilnehmern bedanken. Sowie bei David (der mit Sicherheit sehr gerne mit diskutiert hätte) und seinem Team von Frog Motion fürs Filmen und beim Braincamp-Team für die Organisation.

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