Und ewig grüßt die Vorratsdatenspeicherung

Die Vorratsdatenspeicherung ist nach den Anschlägen gegen Charlie Hebdo plötzlich wieder ein Thema. Führende Politiker der CDU und CSU sprechen sich für die vorsorgliche Speicherung aller Kommunikationsdaten aus. Zu unrecht. Die Vorratsdatenspeicherung ist ein enormer Eingriff in Persönlichkeitsrechte, der die Anschläge in Paris nicht verhindern konnte.

In Frankreich wird die Vorratsdatenspeicherung, die Unionspolitiker nun auch in Deutschland wieder einführen möchten, bereits praktiziert. Sie soll Ermittlern helfen die Kontakte und Hintermänner nach terroristischen Akten und kriminellen Straftaten zu fassen. Nach den Anschlägen von Paris konnte aber offensichtlich nicht einmal die Rolle der dringendst Tatverdächtigen Hayat Boumeddiene geklärt werden.

Die Vorgeschichte…

Der Europäische Gerichtshof in Brüssel

Der Europäische Gerichtshof hob die Vorratsdatenspeicherung in seinem Urteil vom 8. April 2014 auf. Bild: European Court of Justice – Luxembourg von Cédric Puisney Quelle: Flickr Foto: Wolfram Huke Quelle: Wikicommons Creative Commons Grafik

Die Vorratsdatenspeicherung bedeutet die vorsorgliche Speicherung aller Verbindungsdaten (nicht der Inhalte) jedes Bürgers. Das bedeutet die Telekommunikationsanbieter wären gezwungen von jedem Menschen zu speichern, wann er mit wem telefoniert hat, welche Internetseiten er besucht und mit wem er durch E-Mail oder sozialen Netzwerken kommuniziert hat. Ein entsprechendes Gesetz gab es in Deutschland bereits einmal. Am 9. November 2007 wurde es mit den Stimmen der großen Koalition gegen FDP, Grüne und Linkspartei im Bundestag beschlossen. Am 2. März 2010 jedoch erklärte das Bundesverfassungsgericht die Regelungen für verfassungswidrig. Das Gesetz war die Umsetzung einer Richtlinie des europäischen Parlaments. Auch diese wurde jedoch mittlerweile durch den Europäischen Gerichtshof als unvereinbar mit den Bürgerrechten wieder aufgehoben. In einigen Ländern der Europäischen Union gilt die Vorratsdatenspeicherung jedoch noch immer. Vor dem Hintergrund der steigenden Terrorangst in Deutschland nach Charlie Hebdo wird sie nun auch hierzulande wieder diskutiert. CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl und Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sprachen sich bereits für die Wiedereinführung aus. Zu unrecht…

Vorratsdatenspeicherung und Freiheit

They who can give up essential liberty to obtain a little temporary safety, deserve neither liberty nor safety.

Die, die essentielle Freiheiten aufgeben können, für ein wenig befristete Sicherheit verdienen weder Freiheit noch Sicherheit.

Benjamin Franklin 1775

Portrait von Benjamin Franklin

Was Benjamin Franklin wohl zur Vorratsdatenspeicherung gesagt hätte? Benjamin Franklin Portrait von Joseph-Siffred Duplessis (Portrait um 1785)

Es ist ein wenig paradox. Wir haben der NSA und dem britischen Geheimdienst vorgeworfen, dass sie unsere Daten stehlen, und jeden Bürger unter Generalverdacht stellen, nur um wenige Terroristen zu verfolgen. Wir haben kopfschüttelnd eingewandt, dass die Datenmenge, die die amerikanischen Geheimdienste sammeln, viel zu groß sind, um sie effektiv auswerten zu können. Wir haben vor Missbrauch der Daten durch Behörden oder Unternehmen gewarnt. Doch nun, da die Vorratsdatenspeicherung wieder diskutiert wird, hört man in den Medien nichts von all diesen Argumenten, obwohl sie doch nicht minder richtig sind. Hier wird nicht gefragt, warum jeder deutsche Bürger zukünftig jederzeit im Bewusstsein leben soll, dass alle seine Kommunikationsdaten zentral gespeichert sind. Ein Hackerangriff, ein Justizfehler, ein überneugieriger Mitarbeiter des eigenen Telekommunikationsanbieters. Mehr braucht es nicht, und schon ist auf ewig in der Öffentlichkeit, wann ein Bürger mit der Telefonseelsorge telefoniert hat, wann er sich per E-Mail an eine Aids-Selbsthilfegruppe gewandt hat oder welches seine Lieblingspornoseiten sind. Um einige wenige Kriminelle und Verbrecher besser verfolgen zu können, wird das gesamte Volk unter Generalverdacht gestellt. Und dabei ist der nachgewiesene Nutzen der Vorratsdatenspeicherung kaum vorhanden.

Die Vorratsdatenspeicherung: Kein erkennbarer Nutzen

Das BKA könnte durch die Vorratsdatenspeicherung kaum zusätzliche Ermittlungserfolge feiern. Hauptquartier des BKA in Wiesbaden von Xavax   Quelle wikicommons

Das BKA könnte durch die Vorratsdatenspeicherung kaum zusätzliche Ermittlungserfolge feiern.
Bild: Hauptquartier des BKA in Wiesbaden von Xavax Creative Commons Grafik Quelle wikicommons

Die Vorratsdatenspeicherung wird kein einziges Verbrechen verhindern. Denn sie ist kein Mittel, mit dem akute Gefahren erkannt und verhindert werden könnten. Sie dient (das sagen auch ihre Befürworter) dazu, nach einem Verbrechen oder Anschlag die Hintermänner einer Tat zu ermitteln, indem geprüft werden kann, mit wem die Täter zuvor in Kontakt standen. Ob diese Methode gerade gegen den „neuen Terrorismus“ noch hilfreich sein kann, ist jedoch fraglich. Gerade die Attentäter von Paris haben gezeigt, dass islamistische Terroristen immer weniger durch hierarchisch strukturierte Terrororganisationen ausgebildet und befehligt werden. Vielmehr sind es radikalisierte Einzeltäter, die zwar von größeren Organisationen Ressourcen und Know How beziehen, jedoch weitgehend eigenverantwortlich arbeiten. Im Nachhinein zu sehen, wer den Terroristen geholfen hat, wird also kaum dazu führen, hierarchische Strukturen zu zerschlagen, und Terroranschläge zukünftig unwahrscheinlicher zu machen.

Ob die Vorratsdatenspeicherung überhaupt zu signifikanten zusätzlichen Ermittlungserfolgen führt, ist überdies fraglich. Eine Studie der kriminologischen Abteilung des Max – Planck Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht hat die Kriminalitätsstatistik langfristig ausgewertet. Sie kommt zum Ergebnis:

Die Untersuchung der deliktsspezifischen Aufklärungsquoten für den Zeitraum 1987 bis 2010 zeigt, dass sich der Wegfall der Vorratsdatenspeicherung nicht als Ursache für Bewegungen in der Aufklärungsquote abbilden lässt. (S. 219)

Und selbst eine Studie des BKA kommt zu dem Ergebnis, dass durch die Vorratsdatenspeicherung die Aufklärungsquote von Verbrechen um lediglich 0,006 Prozentpunkte steigern würde. Die Vorratsdatenspeicherung habe in den Ländern, in denen sie praktiziert werde, keine merkliche Verbesserung der Aufklärungsquote mit sich gebracht.

Die Vorratsdatenspeicherung: Gegen die Bevölkerungsmehrheit durchgesetzt?

Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung ist gegen die Vorratsdatenspeicherung. Laut einer Umfrage des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung (Abb.) sind es zwei Drittel der Bevölkerung. Umfragen von Allensbach und Forsa erbringen ähnliche Ergebnisse. Selbst eine knappe Mehrheit der CDU/CSU – Anhänger ist gegen eine allgemeine Vorratsdatenspeicherung. Vielmehr sollen Daten nur in konkreten Verdachtsfällen gespeichert werden.

Zwei Drittel der Bevölkerung sind gegen die Vorratsdatenspeicherung Quelle: http://www.vorratsdatenspeicherung.de

Zwei Drittel der Bevölkerung sind gegen die Vorratsdatenspeicherung Quelle: http://www.vorratsdatenspeicherung.deCreative Commons Grafik

Auch die überwiegende Mehrheit der demokratischen Parteien ist gegen die Vorratsdatenspeicherung. Grüne und Linke sind es laut offizieller Parteiposition. Die SPD ist in der Frage zwar generell unentschieden. Die vielen Verlautbarungen von hohen und mittleren Parteifunktionären zu diesem Thema lässt jedoch keinen Zweifel daran, dass die Partei eher skeptisch ist. Die nicht im Bundestag vertretenen Parteien FDP, Piratenpartei und sogar die AfD sind streng gegen die Vorratsdatenspeicherung. Dass CDU/CSU 2007 überhaupt in der Lage waren sie durchzusetzen, liegt an der Eigenlogik unseres politischen Systems. Zwar nicht die Mehrheit der Unionswähler aber die Mehrheit der Unionsfunktionäre waren für die Vorratsdatenspeicherung. Und die Partei mit dieser Position stellte zwar nicht die Mehrheit der Sitze im Parlament, jedoch die Mehrheit der Sitze innerhalb der Regierungskoalition.

Fazit

Die Vorratsdatenspeicherung verhindert keine Verbrechen und keine terroristischen Akte. Ob sie zu deren nachträglicher Aufklärung beiträgt ist mehr als fraglich. Die Vorratsdatenspeicherung schränkt elementare Grundrechte ein und widerspricht elementaren Rechtsstaatsprinzipien. Eigentlich gilt in Deutschland als unschuldig, wessen Schuld noch nicht bewiesen ist. Die Vorratsdatenspeicherung hingegen stellt das Volk unter Generalverdacht. Wegen dieser Verstößen gegen Grund- und Bürgerrechte haben das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof dem Vorhaben bereits früher die Rechtmäßigkeit aberkannt. Die Überwiegende Mehrheit der deutschen Bevölkerung und der deutschen Parteien ist gegen die Vorratsdatenspeicherung.

Ein Schock wie die Attentate von Charlie Hebdo dürfen nicht dazu führen, dass wir die Grundprinzipien von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie über Bord werfen. Die Vorratsdatenspeicherung darf nicht kommen.

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