Charlie Hebdo und Reaktionen im sozialen Netz

Gestern am Mittwoch 7. Januar 2015 drangen zwei schwer bewaffnete Islamisten in das Redaktionsgebäude der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo ein, einer Zeitschrift die wiederholt kritisch und satirisch zum Islam Stellung genommen hatte und unter anderem 2006 an der Verbreitung von Mohammed-Karikaturen beteiligt war. Die beiden Attentäter stürmten die Büros, in denen sich die Belegschaft zu ihrer wöchentlichen Redaktionssitzung am Mittwoch getroffen hatten, und feuerten mit automatischen Waffen. Der Herausgeber und Zeichner Stéphane Charbonnier sowie 11 Weitere Redakteure, Mitarbeiter und Karikaturisten wurden bei dem Anschlag getötet. Dabei schrien sie angeblich laut „On a vengé le prophète Mohamed!“ („Wir haben den Propheten Mohammed gerächt“). Die Täter flüchteten und sind (noch) nicht gefasst.
Warum ich diese Fakten hier darstelle, weiß ich nicht. Denn jeder, der auf diesen Blogartikel gestoßen sein kann, hat sie seit gestern bereits hundert Mal gelesen, im Fernsehen gesehen oder im Radio gehört. Mittlerweile hat ein sogar ein Amateurvideo der Tat die Runde gemacht.

Das soziale Netz dreht durch

Eine riesige Welle der Solidarität und der Wut ist durch die sozialen Netzwerke geschwemmt. Der Hashtag #JesuisCharlie mit dem dazugehörigen Foto hat in wenigen Stunden Facebook, Twitter und Google+ erfasst, und sie bisher nicht wieder losgelassen. Alle meine französischen Freunde, und ein großer Teil aller sonstigen User hat ihr Profilbild mit dem „Je suis Charlie“-Bild ersetzt. Die Hashtags #CharlieHebdo und #JeSuisCharlie führen seit gestern unangefochten die Twitter-charts an. Zahllose Politiker, Religiöse Vertreter, Journalisten, Karikaturisten und Komiker meldeten sich in und außerhalb der sozialen Medien zu Wort. Papst Franziskus etablierte sogar den neuen Hashtag #PrayersForParis.

Allerorten werden Karikaturen, Zeichnungen und Comics satirische Comics veröffentlicht. Es ist eine Trotzreaktion, ein empörtes „Jetzt erst Recht“, eine deutliche Überzeugung sich nicht einschüchtern lassen zu wollen. Die Islamisten sollen sehen, dass Satire und Pressefreiheit sich nicht mit Pistolen und Raketenwerfern zerstören lassen, solange eine freiheitliche Gesellschaft sie trägt und achtet.

Islamisten und Neurechte machen Mobil

Während die Netzgemeinde trauert melden sich auch Islamisten und Neurechte zu Charlie Hebdo zu Wort. Auf seinem Twitteraccount lobte der IS-Sympathisant @Abu___Dujana das Attentat und kündigte weitere Folgen für Frankreich an. „Wenn eure Freiheit des Ausdrucks keine Grenzen kennt, dann müsst ihr auch unsere Freiheit zu Handeln akzeptieren“, zitiert er in einem Tweet den getöteten Al Kaida Anführer Osama Bin Laden.


Die scheußliche Twitter-Timeline des Menschen verachtenden Islamisten zeigt unter anderem Bilder von Körperteilen ermordeter Opfer des IS.

Die verschiedenen Neurechten Bewegungen reagierten auf das Blutbad in ihrer Weise. Die Vorsitzende der französischen Nationalisten-Partei Front Nationale Marine Le Pen twitterte, die Islamisten hätten Frankreich den Krieg erklärt, und sie werde ein Referendum über die Wiedereinführung der Todesstrafe anregen.

In Deutschland reagierte die Islam-kritische Demonstrationsbewegung Pegida auf ihrer Facebook-Seite. In einem Beitrag interpretierte sie die Ereignisse von Paris als Auswüchse desjenigen Islamismus, den man bekämpfen wolle, und wiederholte Forderungen nach mehr Polizei und weniger Islam aus dem eigenen Programm.

Am besten hat die Reaktionen von Islamisten und Neurechten wohl der Postillon zusammengefasst/vorhergesagt. Bereits wenige Stunden nach den Anschlägen wurde dort in einem satirischen Artikel gemutmaßt, dass vor allem Islamisten und Islamkritiker von den Anschlägen profitieren würden, während das gros der Bevölkerung aus Christen, Moslems, sonstigen Religion, Atheisten und Agnostikern die Leidtragenden seien. Zum Artikel

Angriff auf Zivilgesellschaft und Pressefreiheit

Der Terroranschlag ist in allen Medien, in Fernsehen, Radio, Zeitungen und im Internet präsent. In den sozialen Medien jedoch, ist Charlie Hebdo nicht ein Thema, sondern das Thema. Warum schlägt der Terroranschlag gerade in der Netzgemeinde so hohe Wellen?
Der Angriff gegen das Sartiremagazin ist ein Angriff auf die Meinungs- und Pressefreiheit, auf kulturelle Vielfalt und das Recht auch Extrempositionen im öffentlichen Diskurs vertreten zu dürfen. Gerade das sind Punkte, die der Netzgemeinde besonders am Herzen liegen. Denn die Netzgemeinde ist jünger, ist medienaffiner als der Bevölkerungsdurchschnitt. Sie hat in den unendlichen Weiten des Internets vielfältige Positionen kennen gelernt und deswegen Toleranz und Akzeptanz gelernt. Komik, auch radikale Komik verbreitet sich im sozialen Netz schneller als sonst irgendwo, und hat prägt den Alltag von Facebook- und Twitter-Nutzern. Umso wütender Reagiert sie, wenn Jemand die Komik mit Füßen tritt, andere Meinungen und Positionen nicht akzeptiert… besonders wenn es mit Waffengewalt geschieht.

Unter all den zahlreichen Kommentatoren der furchtbaren Tragödie von Paris hat Tim Wolff, Chefredakteur der Titanic die beste Antwort auf den Terror gefunden. Komik ist menschlich. Komik ist Trost. Komik gibt uns die Möglichkeit „im Uneigentlichen“ über unsagbar furchtbare Themen zu sprechen. Gerade indem wir scherzen, können wir ernste Themen nicht ernst nehmen. Fundamentalisten, ob religiös, politisch, oder sonst weltanschaulich begründet können alles nur ernsthaft interpretieren, weil ihr eigenes Weltbild keine Komik, keine Relativierung zulässt.
Artikel: „Es lebe der Witz“ von Tim Wolff

Auch das Massaker in der Redaktion von Charlie Hebdo ist ein so trauriges, so ernsthaftes Ereignis, dass uns nur eine Möglichkeit bleibt, um es zu verarbeiten: Nehmen wir es nicht ernst.

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