Netzneutralität und Taliban

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Die Netzneutralität in Europa ist seit Mittwoch (04.02.2015) massiv gefährdet. Der Europäische Rat legte einen Plan vor, der priorisierte Datenübermittlungen erlaubt. Unterdessen verglich EU-Kommissar Günther Oettinger Befürworter der Netzneutralität mit der Taliban.

Wenn ein deutscher Politiker eine beispiellose Rehe öffentlicher Fettnäpfchen vorweisen kann, dann ist es Günther Oettinger. 2007 bezeichnete der den ehemaligen NSDAP-Marinerichter Hans Karl Filbinger als „Feind des Nationalsozialismus“. 2005 sagte er in einem Interview, dass Englisch bald die allgemeine Büro- und Arbeitssprache in Deutschland sein werde. Gemessen an diesem Anspruch musste leider jeder, der seine Antrittsrede zum EU-Kommissar 2010 verfolgt hat, bezweifeln, dass Oettinger für Büro- oder Arbeit geeignet ist. Nun also der neuste Coup des (wohlgemerkt) ranghöchsten Internet-Politikers in Europa: Bei einer Veranstaltung des Bundesfinanzministeriums verglich er Netzneutralität-Befürworter mit der Taliban. Falls es Oettingers Anliegen war, eine produktive und sachliche Debatte über dieses Thema zu verhindern, hätte er nichts besseres tun können, als seine Gegner zu beschimpfen. Der Anlass seiner Rede ist jedoch leider ein sehr ernster.

EU-Ministerrat greift Netzneutralität an

Es ist Paradox. Während die Netzneutralität in den USA lange auf Messers Schneide stand (Artikel in diesem Blog hier und hier) ist sie ausgerechnet dort mittlerweile auf Anordnung höchster politischer Ebene umgesetzt.

Der Rat der Europäischen Union (bestehend aus Vertretern der europäischen Nationalregierungen) hingegen veröffentlichte am Mittwoch ein Grundsatz-Papier zur Regulierung des europäischen Markts für elektronische Kommunikation. Darin heißt es wörtlich:

Article 3.1 Providers of electronic communications to the public, including providers of internet access services, shall be free to enter into agreements with end-users, including and/or providers of content, applications and services to deliver a service other than internet access services, which requires a specific level of quality.

Artikel 3.1 Telekommunikationsanbieter sollen die Möglichkeit haben mit Endnutzern und Anbietern von Webinhalten […] Vereinbarungen zu schließen, um einen Dienst, der über normalen Internet-Zugang hinausgeht bereitzustellen, wenn dieser eine bestimmte Übermittlungsqualität benötigt.

Was hier geschrieben steht, ist exakt das, wogegen Befürworter der Netzneutralität seit Jahren kämpfen. Netzneutralität bezeichnet den Grundsatz, dass alle Datenpakete im Internet gleichwertig behandelt und gleich schnell übermittelt werden. Egal ob der Endnutzer die Seite einer großen Zeitung oder des Blogs von nebenan aufruft: Der Netzanbieter muss die Seiten gleich schnell übermittelt. Auf diese Weise bleibt das Internet ein Ort der ständigen Innovation und des Wettbewerbs. Denn Firmen, die neue, kreative Dienst anbieten können im Internet ebenso schnell erreicht werden, wie etablierte Großunternehmen. Wenn etwa Youtube, Facebook oder Amazon die Telekom dafür bezahlen könnten, dass ihre Websiten schneller aufgerufen werden, als die Konkurrenz, würde das Monopolbildungen Tür und Tor öffnen.

Die Konservativen und ihre Argumente

Die Argumente, die Oettinger gegen die Netzneutralität zu Felde führt, sind nicht neu. Im Dezember letzten Jahres äußerte sich Angela Merkel bereits ähnlich bei einer Vodafone-Konferenz. (Artikel in diesem Blog)

Bestimmte Internetdienste müssten mit höherer Priorität übermittelt werden, weil es technisch notwendig sei, und die Umstände dies gebieten. Zum Beispiel ist es dringlicher aktuelle Verkehrsdaten an selbst fahrende Autos zu übermitteln, als ein Katzenvideo schnell auf den Bildschirm eines Youtube-Nutzers zu bekommen. Ebenso ist es dringlicher, dass medizinische Daten für Ferndiagnosen oder sogar Fern-OPs schneller übermittelt werden. Ergo müssten manche Datenpakete schneller übermittelt werden als andere.

Die Welt des Günther Oettinger

Günther Oettinger EU-Kommissar für Digitale Infrastruktur

Seine öffentlichen Fehltritte sind legendär: Günther Oettinger Photo by FriendsofEurope

Laut Günther Oettinger ist jeder Anhänger der Netzneutralität gegen Fern-Notoperationen und nimmt Autounfälle in Kauf. Das zu Grunde liegende Problem liegt also offen zu Tage: Der zuständige EU-Kommissar ist mehr damit beschäftigt die Netzgemeinde zu beschimpfen, als für einen Ausbau der Internet-Infrastruktur zu sorgen. Deswegen reichen die Kapazitäten nicht aus, um gleichzeitig ein Auto fahren zu lassen und ein Youtube-Video zu streamen.

In den USA, wo die Netzneutralität mittlerweile gesetzlich festgeschrieben ist, werden selbst fahrende Autos bereits flächendeckend getestet. Das könnte man Oettinger entgegen halten, wenn sein Gesprächston und seine Attitüde einer inhaltlichen Antwort überhaupt würdig wären.

Die Büchse der Pandora

Wie in diesem Blog bereits mehrfach ausgeführt wurde (zb. hier ) hätte die Aufhebung der Netzneutralität gravierende Nebenwirkungen. Die Netzneutralität ist ein klares und einfaches Prinzip. Alle Daten werden gleich schnell übermittelt. Fertig. Wer hingegen manche Daten schneller übermitteln will als andere, der muss jede einzelne Entscheidung detailliert abwägen und begründen. Muss ein Rechtsgutachten schneller abrufbar sein, als ein Kartendienst? Ist ein Skype-Gespräch dringender als eine Online-Buchung? Es gibt tausende und abertausende gewichtige Argumente für das eine oder andere, die gegeneinander abgewogen werden müssten. Netzanbieter müssten eine große Technische Infrastruktur aufbauen, um jede Entscheidung im Detail zu treffen und was noch schlimmer ist: Der Staat müsste einen noch viel größeren Behördenapparat aufbauen, um zu überprüfen ob jede einzelne Übermittlungsentscheidung richtig und rechtens war. Die Aufhebung der Netzneutralität würde zur Schaffung eines Verwaltungs-Dinosauriers führen. Und priorisierte Übermittlung von Diensten grundsätzlich zuzulassen, ist der erste Schritt dazu.

Europas Mühlen mahlen…

Gebäude des EU-Parlament

Das EU Parlament ist nach wie vor für eine strenge Auslegung der Netzneutralität. Photo by Frank Mago

Der Entwurf zur Aufweichung der Netzneutralität kommt vom EU-Ministerrat, dem Vertretungsgremium der Nationalregierungen. Bevor er europäisches Recht werden kann, müssen die EU-Komission und das Europaparlament zustimmen.

Noch im April letzten Jahres hatte das EU-Parlament in Straßburg mit überwältigender Mehrheit die Netzneutralität in Europa gestärkt, und jedwede Ungleichbehandlung von Datenpaketen als unzulässig zurückgewiesen.

Damals hatte sich aber Angela Merkel, die Meisterin der europäischen Hinterzimmerpolitik noch nicht gegen die Netzneutralität ausgesprochen. In Fällen wie diesen tritt das Demokratie-Defizit in der EU leider offen zutage. Denn es wird deutlich, dass die nationalen Regierungen immer noch größeren Einfluss auf die EU-Kommission und den tatsächlichen Entscheidungsprozess haben als die eigentlich gewählten Volksvertreter im EU-Parlament. Die Fraktion der europäischen Liberalen hat sich bereits gegen den Vorschlag des Rats ausgesprochen. Bleibt zu hoffen, dass das Europaparlament bei seiner Haltung bleibt, und sich nicht den Mechanismen der Brüsseler Geheimpolitik beugen muss.

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