Der Berliner Youtuber Clavinover hat seinen Song „Wir ham Internet“ veröffentlicht. In seiner Parodie der Parodie „Isch hab Polizei“ von Jan Böhmermann erklärt er im Namen der ganzen Youtube-Gemeinde den klassischen Medien den Krieg. Ein Kulturkampf war schon lange unvermeidlich…
Es ist ein Song, wie ihn nur das Internet hervorbringen konnte: Die Parodie einer Parodie, die zugleich das eigene Medium, auf die Schippe nimmt. In Form und Inhalt wird hier ein Krieg der Medienformen und ein Kampf der Kulturen ausgefochten. Doch der Reihe nach:
Vor zwei Wochen veröffentlichte der ZDF-Comedian und teilzeit-Youtuber „Jan Böhmermann“ seinen Song „Ich hab Polizei“, in der er Polizei und Staatsgewalt vor allem aber den deutschen Gangster-Rap aufs Köstlichste veralberte. Im nahezu perfekt kopierten Rap-Stil und Slang des Gangster-Rappers „Haftbefehl“ besang Böhmermann darin -Genre-typisch-, wie brutal und gnadenlos seine „Gang“ ist. Nur war diese „Gang“ eben plötzlich die Polizei, womit die ganze Gangster-Rap-Attitude urkomisch gebrochen wurde. Der Song wurde bis heute fast 7 Millionen mal angeklickt und erreichte die ITunes Top10. Er wurde in klassischen wie neuen Medien besprochen und sogar schon auf Partys gespielt. Ein viraler Hit ist im schnelllebigen Internet schon ein Klassiker. Deswegen war es nicht verwunderlich, dass nun eine Parodie der Parodie auftauchte.
Köstliche Parodie der Parodie
Das Video zu „Wir ham Internet“ beginnt mit den ersten Szenen des Böhmermann Videos. Doch statt einer wütenden Neonnazi-Bande erwarten ihn hier die Berliner Youtuber Clavinover, Frodo, Robbubble und die Spacefrogs vor seinem Auto. Clavinover, der nun seinereits den parodierenden Rapstil von Böhmermann perfekt parodiert, geht ihn mit hartem Rap an.
Böhmermann brauche nicht zu einzubilden jetzt ein Youtube-Star zu sein, nur weil er einen Hit hatte. Bei Youtube gelten immerhin ganz andere Regeln als im klassischen Fernsehen. Sein professionelles Studio produziere nur „Bilder und Töne […] aus der Fabrik“ und nicht im entferntesten die authentischen Inhalte, die die junge Zielgruppe bei Youtube sehen wolle. Überhaupt sei das Fernsehen eine veraltete Institution mit maroden Inhalten, deren Zielgruppe bald wegsterben werde. Youtube aber, ist die Zukunft.
Nix Sendezeiten, on demand mein Schatz!
Ihr macht schwule Blenden, wir machen Jump Cuts.
5 Tonnen Club Mate im Kinderzimmer
Party Power VideoDays! Den Fernsehpreis gibt’s nimmer!
Die Youtuber schlagen zurück
Nun ist Böhmermann keinesfalls ein Neuling bei Youtube und „Ich hab Polizei“ nicht sein erstes virales Video. Sein legendäres Varoufakis-Video, sein Kommentar zu Campinos Bandaid-Projekt oder kürzlich sein Laugenbebäck-Song waren Sensationen bei Youtube und im sozialen Netz. Die jungen Berliner Youtuber müssen sich also (zumindest nicht erst jetzt) Sorgen machen, dass Fernseh-Größen wie Böhmermann ihnen im Internet das Publikum streitig machen. Der Hintergrund ist ein ganz anderer: Böhmermann hält schon seit Monaten mit seiner Lautstarken Kritik am Youtube-Mikrokosmos nicht hinter dem Berg: Mal lieferte er sich mit dem Let’s Player Dner wegen dessen AfD-freundlichen Äußerungen einen Flame-War auf Twitter. Mal kritisierte er ungekennzeichnete Produktplatzierungen in den Videos der Schmink-Youtuber Bibis Beautypalace und Sami Slimani. Mal machte er sich in einem Interview über den Youtuber Unge lustig. Der hatte Ende 2014 seine beiden einträglichen Youtube-Kanäle verloren, weil er, so Böhmermann, einen Vertrag unterschrieben habe, den er selbst nicht richtig verstanden hat. Ganz grundsätzlich kritisiert Böhmermann, dass die Youtube-Stars sich wie authentische Leute von nebenan gebärden, doch längst klassische Prominente geworden sind. Damit übten sie einen gefährlichen Einfluss auf ihre junge Zielgruppe aus.
Es ist kaum anzunehmen, dass Clavinover ungekennzeichnete Werbung oder gar die AfD gut findet. Doch die Youtube-Community hat in den letzten Jahren eine starke gegenseitige Solidarität und ein starkes Eigenbewusstsein entwickelt. Als der Youtuber Lefloid zum Beispiel Bundeskanzler Angela Merkel interviewen durfte, feierte die ganze Youtuber-Community diesen neuen Beweis ihrer gesellschaftlichen Relevanz.
„Internet hat Breitband und virale Hits.
Internet hat YouTube Money und Thumbnail Tits.
Internet hat Url, Internet ist gut.
Internet hat dieses Jahr die Merkel interviewt.“
Eben aus diesem Zusammengehörigkeitsgefühl heraus ist Clavinovers Verteidigung seiner Youtuber-Kollegen zu verstehen.
Internet darf Produktplatzierung machen.
Kinder abzocken, über Fernsehfressen lachen.
Du feierst deine Quote mit billigem Schaumwein.
Halt dein Maul, sonst schmieren wir dich mit Bibis Schaum ein!
[Anm.: Gemeint ist in der letzten Zeile der neue Badeschaum der Youtuberin BibisBeautypalace der vor kurzem als Kollektion herauskam]
Internet ist höflich und immer korrekt.
Internet hat Taschengeld in Samis Kollektion gesteckt.
Internet macht nur, was Internet will.
Auch du likest heimlich Bibi, also sei still!
Ironie auf hohem Niveau
Die große Stärke von Böhmermanns „Original-Parodie“ war, dass er es schaffte eine grundsätzlich positive Stimmung über die Polizei zu erzeugen, und dennoch wohl dosierte Kritik an ihr einzuflechten. („Ich own Polizei, den ich zahl Höchststeuersatz“, „Polizei heißt Torsten, Melanie und Thomas.“, „Polizei macht nur, was Polizei will. Und wenn du dich beschwerst, glauben alle Polizei!“). Ebenso gelingt es Clavinover kritische Dinge an Internet und Youtube zu verballhornen:
Internet darf Produktplatzierung machen.
Kinder abzocken, über Fernsehfressen lachen.Internet macht ShoutOut, Community zur Stelle.
Tweet raus, Shitstorm, Haterwelle.Wenn du bisschen frech wirst, gibt Netz Daumen runter.
Du wunderst Dich: zu viele Views für den Schund da.Ticket ist teuer, aber Opfer zahlt gerne.
Wir machen auf Fan-nah, aber sind in weiter Ferne!
Ungekennzeichnete Produktplatzierungen, Shitstorms in sozialen Medien oder die mangelnde Qualität vieler Youtube-Videos hält Clavinover mit nicht für erstrebenswert. Und die Diskrepanz zwischen „authentischem Youtuber von nebenan“ und „Star“ wird mittlerweile auch von vielen Youtubern selbst in ihren Videos thematisiert. Clavinover nutzt nun (wie in Böhmermanns Vorlage) den Gangsterrap Jargon, um die berechtigte Kritik an seinem Medium ironisch zu übersteigern und damit zu brechen. Wie im Gangsterrap Gewalt und Kriminalität glorifiziert werden, glorifiziert Clavinover die dunklen Aspekte von Internet und Youtube, ohne dabei seine grundsätzliche Begeisterung für das Medium zu verschleiern.
Kulturkampf und Medienwandel
Die Grundaussage von Böhmermanns Video: „Die Polizei ist die krasseste Gang von allen“ war gerade deswegen so genial, weil sie übertrieben und ironisch dargestellt, ihren wahren Kern umso deutlicher zu Tage treten ließ. „Die Zeit des Fernsehens ist vorbei und jetzt kommen die Youtuber!“ schafft das ähnlich gut. Denn die Medienbranche verändert sich. Das wissen Youtuber wie Clavinover genau. Sie kennen ihre Vor- und Nachteile gegenüber den klassischen Medien.
Sie wissen, dass die Zuschauer heute nicht mehr festen Fernsehprogrammen folgen, sondern ihre Sendungen sehen wollen, wenn sie gerade Zeit haben:
Nix Sendezeiten, on demand mein Schatz!
Ihr macht schwule Blenden, wir machen Jump Cuts.
Sie wissen, dass die technischen Möglichkeiten im Internet besser ausgeprägt sind:
Internet kennt von allen Usern ihre Daten.
Die GFK kann Eure Quoten nur erraten.
Sie wissen, dass die junge Zielgruppe nach authentischen Vorbildern sucht und billig produzierte authentische Medieninhalte häufig erfolgreicher sind als professionelle Sendungen.
Deine Bilder und Töne kommen aus der Fabrik.
Internet hat mit Wackelbildern trotzdem viel mehr Klickssss…
Vor allem aber wissen sie, dass die junge Generation kaum mehr klassisches Fernsehen sieht, und dass sie nur warten müssen, während ihre Zuschauerschafft größer und größer wird.
Internet hat Jugend, Zukunft und Aufmerksamkeit.
Fernsehen ist tot, mach dich auf Untergang bereit.
Du hast gedacht, im Fernsehen da werden Fangirls sein,
aber ZDF Zielgruppe sitzt leider im Altenheim!
Böhmermann, den kürzlich sogar die New York Times zur letzten Hoffnung des klassischen deutschen Fernsehens erklärt hat, führt deswegen aus Sicht der Youtube-Elite nur ein lang gezogenes Rückzugsgefecht. Dass er sich auf Youtube etablieren will (oder schon hat) ist für sie eine Flucht und vor der endgültigen Bedeutungslosigkeit.
nternet hat Hashtags und Wireless LAN.
Internet heißt Gronkh, LeFloid und nicht Böhmermann.
Keine Quote im TV? Internet bringt Dich groß raus.
Denn Internet nimmt auch Fernsehflüchtlinge wie Böhmi auf.
Der Medienwandel und die digitale Entwicklung sind nicht aufzuhalten. Das ist dem ZDF-Veteran Böhmermann genau so, wie seinen neuen Youtube-Widersachern klar. Zwischen den neuen und den alten Medieneliten ist deswegen ein Kulturkampf darüber entbrannt, wie die neue Medienordnung aussehen wird. Letztendlich wird dieser Kampf aber nicht von den Akteuren selbst entschieden, sondern von den Zuschauern, die diesen Krieg mit jedem Klick und jedem Druck auf die Fernseh-Fernbedienung täglich entscheiden.
Künstler und Hintergrund
Clavinover – oder Marti Fischer, wie er mit bürgerlichem Namen heißt – ist ein Youtube-Veteran und bereits seit 2007 dabei. Er ist Spezialist für Musik und Parodien. Berühmt sind sowohl seine Stimmimitationen als auch seine Anleitungsvideos „wie geht eigentlich Musik.“ Eine Parodie zum Rapper Haftbefehl mit heute mehr als 5 Millionen Klicks hat er selbst einmal gemacht. Die Böhmermann-Parodie ist der vorläufige Höhepunkt von Clavinovers musikalischem und komischem Schaffen. Für das Video rekrutierte er seine Berliner Youtuber-Kollegen Lefloid, Robbubble, Spacefrogs und Frodo. Mit ihnen zusammen hatte er Ende 2014 den Verein 301+ gegründet, weil sie alle mit ihrem vorherigen Youtube-Netzwerk Mediakraft unzufrieden gewesen waren. Seither arbeiten die 301+ Youtuber in vielen Crossover-Projekten miteinander zusammen. Mit Mediakraft stehen sie auf Kriegsfuß, wie sich zum Beispiel in Robbubbles Video „Mediakraft was stimmt nicht mit euch“ zeigte. Jan Böhmermann hatte in einem Interview den Youtuber Unge für seine einseitige Vertrags-Auflösung mit Mediakraft kritisiert.