Netzneutralität liegt im Auge des Betrachters

Netzneutralität Ade? Am Donnerstag den 15. Mai beschloss die amerikanische Netzagentur FCC mit knapper Mehrheit ihr umstrittenes Grundsatzpapier. Die Vorschläge erschüttern das Netz: Erstmalig sind Absprachen zwischen Providern und Internetanbietern für schnellere Datenübermittlung vorgesehen. Bis zum 15. Juli können amerikanische Internetnutzer nun ihre Ideen einbringen.

Selten hat eine amerikanische Behörde soviel Aufmerksamkeit bekommen. Schon in den frühen Morgenstunden zelteten Netzaktivisten vor den Toren des FCC-Headquarters. Kaum war hatte die Versammlung begonnen, durchstieß ein Hupkonzert die Luft. Die Demonstranten hielten am Straßenrand Pappschilder mit der Aufschrift „Hupt für freies Internet“ in die Höhe. Die Netzaktivistin Gigi Sohn, die dem Meeting der FCC-Führung beiwohnen durfte, bekam schon am Vortag tausende neue Follower bei Twitter. Jeder hoffte, dass durch sie etwas aus dem streng geheimen Meeting hervor dringen würde. Dann am späten Nachmittag war es endlich so weit. Tom Wheeler, Vorsitzender der amerikanischen Netzagentur FCC trat vor die Kameras der wartenden Journalisten und verkündigte das Ergebnis: Mit drei zu zwei Stimmen angenommen. Die Netzagentur schlägt vor, Daten-Überholspuren unter gewissen Bedingungen zu erlauben. Es ist ein Paradigmenwechsel in der amerikanischen Internetpolitik… und wird auch Folgen für Europa haben.

Internetaktivisten aus Asien, Afrika und Südamerika

Aktivisten aus aller Welt setzten sich gegen Netzneutralität und freies Internet ein. Photo by Free Press Pics

Ein langer Weg…

Rückblende: Januar 2014. Das Gerichtsurteil des Federal Courts setzt die bisherigen Regelungen außer Kraft. Die Verordnungen der FCC widersprächen in Teilen der Verfassung. Dann Ende April das verhängnisvolle Interview Tom Wheelers, bei der er den Nachfragen kritischer Journalisten ausweicht. Dass die Netzneutralität durch neue Regelungen der FCC weiterhin garantiert wird, will er nicht explizit sicher stellen. Schon damals laufen Netzaktivisten Sturm:
Die Netzneutralität ist ein Prinzip, dass Freiheit und Gleichheit im Internet garantieren soll. Jedes Datenpaket, egal welchen Ursprungs muss vom Netzanbieter mit gleicher Geschwindigkeit übermittelt werden. Für den Enduser soll es keinen Unterschied machen, ob er Yahoo, GMX oder Web.de nutzt. Die Datenübermittlung passiert immer in der gleichen Geschwindigkeit, die Dienste können gleich schnell angeboten werden. Würde jedoch genehmigt, dass einzelne Internetanbieter Absprachen mit den Netzanbietern treffen könnten, wären freier Wettbewerb und Entscheidungsfähigkeit passé. Die Daten von zb. Gmx würden dann gegen Geld an die Telekom schneller übermittelt als die von Yahoo oder web.de. Der Enduser würde sich für denjenigen Dienst entscheiden, der schneller geladen wird. Ob die Mitbewerber kundenfreundlichere Infrastruktur aufgebaut haben, oder bessere Dienste anbieten, hätte kaum mehr Bedeutung. Kleinere Anbieter könnten sich gegen die Marktmacht Googles, Amazons oder Spiegel-onlines kaum mehr durchsetzen.

Frage nach öffentlicher Resonanz

Auf dem Weg in diese Richtung ist die amerikanische Netzagentur am Donnerstag den ersten Schritt gegangen. Jedoch nur den ersten Schritt. Im „Fact-Sheet“ des Treffens sind die Ergebnisse zusammengefasst. Und auch Tom Wheeler machte in der Pressekonferenz auf mehrere Rückfragen hin energisch klar, dass es sich bei dem Vorschlag zunächst nur um eine Diskussionsgrundlage handele.
Fact-Sheet

Bis zum 15. Juli will die Kommission „input“ und „comments“ der amerikanischen Netzuser einholen, um anschließend ihr endgültiges Urteil zu fällen. Zu befürchten steht, dass diese Einbindung der Netzöffentlichkeit nur als Feigenblatt dienen soll. Schädliche Beschlüsse lassen sich einfacher verabschieden, wenn man die fraglichen Personen eingebunden hat.

Einschränkungen und Intention

Der fragliche Passus im Fact-Sheet lautet:

…Asks if paid prioritization should be banned outright.

Der FCC-Vorsitzende Tom Wheeler sichtlich erregt

Eindrücklich machte Wheeler in der Pressekonferenz klar, dass noch keine Entscheidung gefallen sei. Photo by Free Press Pics

Wie Tom Wheeler im Livestream zur Pressekonferenz auch mehrfach wütend verdeutlichte, handelt es sich nur um einen Vorschlag, der in indirekter Rede als Frage formuliert wird. Betrachtet man jedoch das ganze Papier, so drängt sich ein gänzlich anderer Eindruck auf. Es ist voll von Sonderregelungen und Versicherungen, die Startups und Internetuser vor den Folgen eingeschränkter Netzneutralität schützen sollen. Zusätzliche Informationspflichten der Provider sowie Ausnahmeregelungen für Startups werden gelten. Das ist sehr lobenswert. Doch warum schlägt man zahlreiche Sonderregelungen und Schutzpassi vor, wenn man gar nicht vorhat, die Netzneutralität einzuschränken?

Die Büchse der Pandorra

Wie viele Schutzklauseln und Sonderregelungen auch vorgesehen sind, die Einführung von Datenüberholspuren wären eine Zäsur in der Internetpolitik. Wenn manche Dienste per Provider-Vertrag schneller angeboten werden können als andere, werden die relativ „langsameren“ mit der Zeit aussterben. Der Markt wird sich regulieren und die Gefahr neuer Monopole wird wachsen. Kleine Anbieter (wie dieser Blog) werden langfristig ins Hintertreffen geraten. Niemand weiß, welche Regelungen in Zukunft getroffen werden, wenn die Netzneutralität erst einmal eingeschränkt ist. Die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt.
Die Folgen für die deutschen und europäischen Nutzer sind noch kaum abzusehen. Der Zugriff auf amerikanische Internet-Dienste (und das sind fast alle) könnte zukünftig langsamer oder kostenpflichtig werden. Die amerikanisch Mediendiskussion wird auch die Debatte um Netzneutralität in Deutschland neu befeuern.

Obwohl alles andere als feststeht, ob die Vorschläge der amerikanischen Öffentlichkeit überhaupt Gehör finden werden, hängt nun nicht wenig von den amerikanischen Nutzern ab. Bis zum 15. Juli haben sie Zeit, sich mit ihren Vorschlägen an die FCC zu wenden. Es bleibt zu hoffen, dass sie sich zahlreich beteiligen, damit die FCC auf den letzten Metern doch noch umkehrt.

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About ThomasMorus1478

Online Redakteur, Journalist und Blogger mit vielen Interessen. Studierter Historiker und Philosoph. Internet und Social-Media Freak. Literatur-verrückt und Youtube-abhängig. Schreibt sowohl Journalistisches als auch Belletristik.

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